Ein Thementag mit interdisziplinärem Charakter
Der Heimattag widmet sich jeweils einem zeitbezogenen Thema. So können Fragen zum Natur- und Umweltschutz sowie zur Heimat-, Orts-, Sozial-, Rechts-, Wirtschafts-, Technik- und Baugeschichte beleuchtet und in direkten Zusammenhang gestellt werden.
Der Heimattag findet einmal jährlich im Herbst statt. Er steht unter der Schirmherrschaft des sächsischen Landtagspräsidenten Matthias Rößler.
Bisherige Heimattage
Bereits zum zehnten Heimattag lud der Landesverein Sächsischer Heimatschutz nach Freiberg ein. Während wir uns dort anfangs noch in der Petrikirche trafen, fand diese Veranstaltung zum wiederholten Mal im Saal des «Brauhofes» statt. Fast 70 Heimatforscher wollten sich über verschiedene Perspektiven auf das Thema «1919 bis 1923 – Jahre des Aufbruchs und des Umbruchs in Sachsen » informieren. Unser Vereinsvorsitzender Dr. Thomas Westphalen eröffnete die Tagung mit der Frage nach persönlichen Beziehungen in der zu behandelnden Zeit. Dr. Hans-Joachim Jäger, der die Tagung vorbereitet hatte und nun auch moderierte, erinnerte an Themenstellungen, mit denen sich die vorangegangenen «Heimattage» beschäftigt hatten und neueste Forschungsergebnisse weitergegeben haben. Dabei hob er hervor, dass gerade die nähere Befassung mit Quellen zu den Ereignissen von vor 100 Jahren uns als Ortschronisten und Heimatforscher dazu wertvolle Einsichten vermitteln.
Zur Einführung las Kay Arnswald einige Abschnitte aus dem Buch von Otto Griebel (1895–1972): «Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines Dresdener Malers». Der aus Meerane stammende Künstler war als Soldat im Ersten Weltkrieg an der französischen Front. In seinen Erinnerungen erfahren die Leser – in unserem Fall die Hörer – viel von seinen Erlebnissen und somit über das Zeitgeschehen am Ende des Ersten Weltkrieges und in den ersten Jahren danach. Dr. Jäger gab zu den jeweiligen Abschnitten eine kurze Einführung. Die Lesung begann mit dem Kapitel «Kriegsende», in dem Otto Griebel von den furchtbaren Vorgängen berichtete, bei denen auch er schwer verwundet wurde und das Schlachtfeld sowie das Lazarett als «Orte des Grauens » beschrieb. In weiteren Kapiteln schilderte Griebel die gesellschaftlichen Umbrüche, die Ereignisse der Novemberrevolution, die Wiederaufnahme seines Kunststudiums und seine Teilnahme an Demonstrationen der Spartakisten in Dresden, bei denen Menschen erschossen wurden. Während Oskar Kokoschka (1886–1980) äußerte, dass die Schießereien doch nicht in der Nähe der Gemäldegalerie mit ihren kostbaren Bildern stattfinden sollten, rügte Otto Dix (1891–1969) seinen Malerkollegen: Du mit deiner Scheiß-Politik, setz dich lieber auf den Arsch und male. Und sie malten, malten starke Bilder von ihren Erlebnissen und ihrer Zeit. Auch gemeinsam waren sie unterwegs, so zogen sie ins Krankenhaus Friedrichstadt, um Skizzen von an der Grippe gestorbenen Frauen anzufertigen. Als ehemaliger Soldat und nun wieder Student hatte Griebel kaum ein Einkommen. So war er auf die Fürsorgeunterstützung der Stadt angewiesen. In dieser schwierigen Zeit wurde er Mitglied der KPD. Im Kapitel «Kampf gegen die Reaktion » werden die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe gegen die «Brigade Ehrhardt» und den «Kapp-Putsch» behandelt, die viele Tote und Verletzte forderten. Den bewaffneten Widerstand der aus gesperrten Arbeiter unterstützte Otto Griebel so gut es ihm möglich war. In dieser schweren Zeit verkaufte Griebel hin und wieder mal eines seiner Werke, so auch das bekannte Gemälde «Der Schiffsheizer », dennoch war er fast mittellos. So erlebte er, wie für arme Leute «gönnerisch » von einem Großhändler Heringe bereitgestellt wurden, auf die sich die Erwerbslosen sehr freuten. Diese Fische aber stanken zum Himmel und strotzten vor Würmern. Nun zogen die Armen die Wagen mit den Fischfässern durch die Stadt und warfen die Heringe auf die Straßen und in die offenstehenden Fenster der feinen Restaurants, wo sie weiter stanken und die Empörung der anwesenden Gäste hervorriefen. Dieses Geschehen ging in die Stadtgeschichte als «Dresdner Heringsschlacht» ein. Nach der Lesung ist darauf hingewiesen worden, dass die Aufzeichnungen und dann später auch das Buch erst zu DDR-Zeiten entstanden seien und deshalb oft kritisch aufgenommen würden. Ich meine, die Tatsache, dass dieses Buch von einem Kommunisten in einem stalinistisch geprägten Land geschrieben wurde und erschien, macht es zu einem in besonderer Weise aussagekräftigen Werk.
Nach der Lesung folgte der Historiker und Geschäftsführer des Dresdner Geschichtsvereins Dr. Justus Ulbricht, dessen Referat unter dem Titel «Der Zeitgeist einer Zwischenepoche» stand. Auf eine Reflexion dieses spannenden Beitrages verzichte ich an dieser Stelle, da er im vorliegenden Heft nachgelesen werden kann. «Der sächsische Landtag und seine Abgeordneten» war das Thema, worüber Dr. Janosch Förster sprach. Zu Beginn ging er auf das Landtagsgebäude, auch als Ständehaus bezeichnet, ein, das in der Zeit von 1901 bis 1907 erbaut wurde und ab 1918 weiterhin Ort parlamentarischer Arbeit blieb. Auf einer Großkundgebung im Zirkus Sarrasani, der sich auch als politischer Veranstaltungsort etabliert hatte, war im November 1918 die «Republik Sachsen» durch Hermann Fleißner (1861 bis 1939) ausgerufen worden. Die Staatsministerien führten im Einverständnis mit dem Arbeiter- und Soldatenrat provisorisch die Geschäfte weiter. Es folgte die Erarbeitung einer Wahlordnung und im Februar 1919 die Wahl zu einem Landesparlament, der «Sächsischen Volkskammer». Die Hauptaufgaben dieses Parlamentes bestanden in der Erarbeitung der Landesverfassung, der Abschaffung der Monarchie, in der Wiedereingliederung der rückkehrenden Soldaten in das zivile Leben sowie in der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und damit auch der Ernährungs- und Versorgungslage. In der Folge wurde die personelle Zusammensetzung des Landtages vorgestellt. Der Überblick über die Abgeordneten sowohl im ersten als auch im fünften Landtag ergab, dass der größte Teil der Bevölkerung, die Arbeiter mit 47 % der Gesamtbevölkerung, sehr gering vertreten war. Einige genannte Namen standen für die unterschiedlichen politischen Strömungen im Landtag, so der Sozialist Hermann Fleißner, der Sozialdemokrat Julius Fraßdorf (1857–1932), der zeitweise auch Minister war, die Jüdin Julie Salinger (1863 bis 1942), die sich als Demokratin für die Gleichstellung von Frau und Mann einsetzte, oder der «Vernunftrepublikaner» und Jurist Bernhard Blüher (1864–1938), später auch Oberbürgermeister von Dresden, der als Mann des Ausgleichs galt. Die Quellenlage zu den Abgeordneten ist sehr dünn. Deshalb richtete Dr. Janosch Förster abschließend die Bitte an alle Heimatforscher: «Sollten Sie bei Ihren persönlichen Forschungen auf Daten und Dokumente von oder über Landtagsabgeordnete aus diesen frühen Parlamenten stoßen, informieren Sie mich bitte».
Dr. Jana Piňosová vom Sorbischen Institut Bautzen gab ihrem Vortrag den Titel: «Auf nach Paris! – Lausitzer Sorben auf der Friedenskonferenz 1919 und die Folgen». Im genannten Jahr begaben sich tausende Menschen aus der ganzen Welt nach Paris, um bei der Konferenz, auf der es darum ging, Europa neu zu ordnen, dabei zu sein. Die besiegten Länder, so auch Deutschland, durften nicht daran teilnehmen. Dem Domowina- Vorsitzenden Arnošt Bart-Brězynčanski (Ernst August Barth; 1870–1956) gelang es jedoch als kooptiertes Mitglied der tschechoslowakischen Delegation für die Friedensverhandlungen in Paris an den Verhandlungen teilzunehmen. Dort versuchte er zu erreichen, dass den Sorben mehr Selbstbestimmung durch die Siegermächte eingeräumt werden sollte. Barth war Abgeordneter des sächsischen Landtages von 1911 bis 1918. Er setzte sich für eine «Panslawistische Union unter der Führung Russlands» ein. Darin wollte er eine «Neutrale Wendische Republik Lausitz» als eigenständigen Staat. Obwohl die Tschechoslowakische Republik die Sorben als ein kleines Volk der Tschechen betrachtete, lehnten Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937) und Edvard Beneš (1884–1948) dies ab. Bart forderte, die Sorben, wie alle anderen Minderheiten, unter den Schutz des Völkerbundes zu stellen und politisch festzulegen, dass: Die Rechte der Wenden unabänderlich sind. Arnošt Bart wurde wegen seines Auftretens in Paris nach seiner Rückkehr «wegen landesverräterrischer Umtriebe» zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Durch internationale Proteste gelang es, dass er nach neun Monaten das Zuchthaus verlassen konnte. In Bautzen bildeten vor allem Bauern den «Ausschuss sachsentreuer Wenden» als Gegenbewegung. Im Landtag diskutierte man die «Wendenfrage und die Tschechengefahr», was zu großen Unsicherheiten führte, vor allem unter der Bevölkerung in der Grenzregion. 1923 setzte sich der Belgier August Vierset in einer weit verbreiteten Schrift für die Sorben ein. Der bekannte Schriftsteller Otto Eduard Schmidt schrieb dazu 1926 eine harsche Gegendarstellung. Der Moderator wies darauf hin, dass sich die Umbrüche und großartigen Anstrengungen in der an diesem Tag behandelten Zeit hinsichtlich Ereignissen und auch Zeugnissen aus den Reformbewegungen auf den Gebieten der Bildung, der Architektur und der dar - stellenden wie auch bildenden Kunst grundsätzlich auch auf Sachsen übertragen lassen. Herausgegriffen werden bei der Themenwahl die Kunstströmungen, hier nun ausgewählt auf Dresden bezogen.
Der Kustos der Städtischen Galerie Dresden, Johannes Schmidt, sprach zum Thema «Künstlerische Moderne in Dresden nach dem Ersten Weltkrieg – Zeugnisse, Werke und Zukunftsträume» und meinte, dass in dieser Zeit das «Betriebssystem Kunst» entwickelt wurde. So gründeten 1916 die Professoren der Kunstakademie, unter anderem Robert Sterl (1867–1932) und Otto Gussmann (1869–1926), den Künstlerrat. Revolutionäre Künstler wie Walter Gasch (1886–1962) sagten diesen etablierten Künstlern den Kampf an und forderten, dass Künstler ein Einkommen wie die Staatsbediensteten erhalten sollten. Dagegen wandte sich der Künstlerrat, weil Radikales wenig Platz habe. Unter Conrad Felixmüller (1897–1977) bildete sich die «Gruppe 1919», die mehr Ausstellungsmöglichkeiten forderte, sich jedoch nicht politisch äußerte. Im Juni 1919 fand die zweite Ausstellung der «Sezession» statt. Der Ruf nach Ruhe und Ordnung setzte sich immer stärker durch. Der Expressionismus ging zu Ende. Otto Griebel und Pol Cassel (1892–1945) wandten sich mehr und mehr der abstrakten Kunst zu. In der NS-Propagandaausstellung «Entartete Kunst» 1933 in Dresden wurden fast ausschließlich Werke der «Sezession» gezeigt. Von der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung sprach Werner Rellecke zu «Vergleichende Perspektiven: 1919 – 1939 – 1949 – 1989». Der Referent ging auf die Bedeutung von Opposition in den politischen Systemen des 20. Jahrhunderts ein, wobei er den gedanklichen Bogen von den widersprüchlichen Ansichten der Reichsverfassung von 1919 und der sächsischen Verfassung von 1919/1920 über die Gleichschaltung gesellschaftlicher Kräfte ab 1933, bis zu dem 1949 im Grundgesetz dann festgeschriebenen Recht auf Bildung einer Opposition in der Bundesrepublik Deutschland spannt. In Ostdeutschland und der 1949 gegründeten DDR war die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Die friedliche Revolution begann 1989 in den sächsischen Städten Plauen, Dresden und Leipzig. Der Redner hielt es für außerordentlich wichtig, das Andenken an die friedliche Revolution und auch an die DDR zu bewahren. Dr. Justus Ulbricht ging in einem zweiten Vortrag auf Kriegerdenkmale als «Zeichen der Erinnerung – Steine des Anstoßes», die uns vielerorts begegnen, ein. 120 000 Kriegerdenkmale gibt es auf deutschem Boden. Über diese Erinnerungszeichen sind so manche Anschauungen und Wetter hinweggegangen. Aus den «Helden» machte man nach 1945 zumeist «Opfer». Der Referent mahnte einen bewussten Umgang mit Kriegerdenkmalen an. Von ihm liegt zu diesem Thema in den Mitteilungen 1/2019 ein ausführlicher Beitrag vor. Unser Vereinsvorsitzender Dr. Thomas Westphalen beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem «Landesverein Sächsischer Heimatschutz in Zeiten des Umbruchs 1918 bis 1923» Er begann mit einem Zitat von Karl Schmidt: Königreiche vergehen, der Landesverein bleibt und stellte die Frage, ob es in dieser Zeit wirklich Umbrüche im Verein gab. So sei Werner Schmidt 1908, 1918 und auch noch 1933 Geschäftsführer des Vereins gewesen. Die Leitlinien sahen vor, in Artikeln, Vorträgen und praktischer Arbeit die Wohnungsfürsorge, den Denkmalsschutz, die Volkskunst und den Naturschutz in das Bewusstsein der Menschen zu tragen. Der Referent schätzte ein, dass der Verein damals mit seinen 40000 Mitgliedern (1930) ein bürgerlich-konservativer Verein war.
Ergebnisse seiner historischen Recherchen zu den geistigen Auseinandersetzungen nach dem Ersten Weltkrieg in Radeberg und Langebrück stellte Hans- Werner Gebauer aus Langebrück unter dem Thema «Königstreu und Gottesfürchtig » vor. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es 54 Männergesangsvereine, danach nur noch acht, da viele Männer im Krieg umgekommen und die Heimkehrer oft verkrüppelt oder desillusioniert waren. Fast 2000 Kinder waren unter - ernährt oder unterentwickelt. Dazu kamen 1000 TBC-Kranke und 600 Krüppel. Die Verhältnisse bildeten einen Nährboden für nationalsozialistisches Gedankengut. Aber es gab auch Personen, wie den Sozialdemokraten Otto Uhlig, der sich vor allem für die Änderung der prekären Wohnungslage einsetzte. Hilfe war hier unbedingt notwendig.
Ein weiteres Beispiel zeigt, wie bürgerschaftliches Engagement sich fortsetzte und weiterentwickelte. Vom Artur- Kühne-Verein Wilsdruff, der zum Landesverein gehört, sprach Dr. Jürgen Stumpf über «Die Entstehung des Wilsdruffer Heimatmuseums vor 100 Jahren ». Vorbereitungen dazu begannen bereits 1909 vor allem durch Artur Kühne, der 1912 den «Verein für Natur- und Heimatkunde» gründete und auch schon zu diesen Themen publiziert hatte. Ziele dieses Vereins waren der Aufbau einer Heimatsammlung sowie die Verbreitung von Wissen über die Natur und die Heimatgeschichte. Erste Ausstellungen fanden in der Schule, in der Turnhalle und der Kirche statt. 1919 wurde das Museum im Bodengeschoss der Schule eröffnet. Trotz Armut und Not blieb es das Ziel, das Museum zu erhalten. Über die langen Jahre hin gelang dies mehr oder weniger, aber die umfangreiche Sammlung blieb erhalten und das Muse - um konnte in den Jahren nach 1990 wieder in der Schule eingerichtet werden. In diesem Jahr wurde das 100-jährige Bestehen des Museums in Wilsdruff gebührend gefeiert.
Gert Rehn aus Reichenbrand bei Chemnitz stieß bei seiner Archivarbeit auf eine Ausarbeitung, die sich mit politischen Ereignissen in Reichenbrand im Jahr 1919 beschäftigt. Er referierte über das Thema: «Politische Entwicklung 1919 in einem Arbeitervorort von Chemnitz im Kontext mit den Augustkämpfen 1919». In Reichenbrand gab es damals 15 Bauernhöfe, eine Handschuhfabrik sowie einige Strumpfwirker. Die SPD war stärkste politische Kraft. Die Fahrradfabrik «Diamant» war der größte Arbeitgeber, und so wohnten auch viele Arbeiter in Reichenbrand, manche von ihnen hatten kleine armselige Häuschen mit ein wenig Grundstück herum. Trotzdem herrschten große Armut und Hungersnot. Deshalb beteiligten sich viele Reichenbrander, unter ihnen vor allem KPD-Mitglieder, im August 1919 an einer großen Kundgebung in Chemnitz auf dem Theaterplatz. Die Reichswehr schoss auf die Demonstranten. Dennoch gelang es den Protestierenden, vorerst die Soldaten zu vertreiben. Gustav Noske (1868–1946), ehemaliger Chemnitzer Abgeordneter und Reichswehrminister, hatte Reichswehrsoldaten auch nach Chemnitz geschickt, die unter den Hungernden ein Blutbad anrichteten. 36 Menschen starben, viele wurden schwer verletzt und verloren ihre Arbeitsfähigkeit. Die soziale Lage blieb weiter sehr angespannt.
Mit seinem Schlusswort bedankte sich Dr. Thomas Westphalen bei allen Referenten und bei den Anwesenden. Obwohl diesmal Themen aus einer jüngeren Zeit behandelt wurden, die bisher wenig im Fokus der Heimattage standen, haben alle wichtige Anregungen für ihre Arbeit erhalten.
Albrecht Kirsche
Text aus den Mitteilungen 2/3 2019
Mehr als 120 Teilnehmer kamen am 6. Oktober 2018 in das Freiberger Brauhaus. Ein umfangreiches Vortragsprogramm mit vielfältigen Themen wurde geboten.
Die Moderation übernahm am Vormittag Dr. Hans-Joachim Jäger. Das Grußwort sprach Andrea Dombois, Vizepräsidentin des Sächsischen Landtages.
Im ersten Vortrag widmete sich Thorsten Bolte, Leiter des Museums Göschenhaus in Grimma, Johann Gottfried Seume und seinen Wanderungen. Ob freiwillig oder durch Zwang – Seume legte zeit seines Lebens beachtliche Wege zurück: nach Syrakus, St. Petersburg, Moskau und Neu-England.
Dr. Thomas Westphalen drang tief in Zeit und Boden ein als er über archäologisch belegte Verkehrswege sprach. Dabei kann es sich um Prozessionswege handeln, die heute nur dank der Luftbilddokumentation erkennbar sind, um Nachweise für erste feste Straßen in mittelalterlichen Städten wie Meißen und Bautzen. Oder es ist auf Grund von Funden beispielsweise von Bernstein oder Goldschmuck der Nachweis für Handelswege möglich, die unsere Region mit dem Baltikum oder dem Mittelmeer verbanden.
Dipl. phil. Volkmar Geupel von der Archäologischen Gesellschaft in Sachsen referierte über mittelalterliche und frühneuzeitliche Altwege im Erzgebirge, die gerade für den Handel mit Böhmen unerlässlich waren. Sie sind noch heute an Hohlwegen nachweisbar. Weitere Referenzpunkte sind zum Beispiel die Burgen Sayda, Purschenstein und Rechenberg oder auch das Zollhaus Bieberstein. Eine besondere Art stellten Geleitsstraßen dar, an denen sich verschiedene Kontrollpunkte befanden. Diese Wege, die vor allem vom 14. bis 17. Jahrhundert benutzt worden waren, werden in ihrem Bestand bedroht, indem sie beispielsweise aus Unkenntnis verfüllt oder durch schwere Forsttechnik zerstört werden.
Nach einer kurzen Kaffeepause, die auch für einen ersten angeregten Austausch genutzt wurde, sprach zunächst Dr. Albrecht Kirsche über die Entwicklung, die eine Reihe von Fernwegen im Erzgebirge im Laufe der Jahrhunderte genommen hat. Er konzentrierte sich dabei vorwiegend auf den Kulmer Steig, der von Heidenau über Gottleuba nach Aussig (Usti n.L.) und später nach Teplitz (Teplice) führt.
Eine Vielzahl an Altstraßen, die sich aus dem Elbtal in die Umgebung erstrecken, stellte Dr. Bernd Hofmann vor. Dabei folgte er dem Strom flussaufwärts. Es ist überraschend, wie heute noch benutzte Straßen mittelalterlichen Wegen folgen, so in den Elbhängen bei Pillnitz oder auch die S 177 von Pirna Richtung Bonnewitz.
Nach der Mittagspause, in der es genug Zeit gab für Gespräche untereinander konnten wir mit frischen Kräften den Beiträgen des Nachmittags lauschen. Hier übernahm nun Dr. Thomas Westphalen die Moderation. Zunächst sprach Professor Dr. Hans-Jürgen Hardtke zu einem vermeintlichen Randthema dieser Tagung. So sind insbesondere auf den Randstreifen und Mittelflächen der Autobahnen oder entlang der Bahnlinien Pflanzen zu beobachten, die bei uns eingewandert sind. Dazu gehören unter anderem die Rote Salzschuppenmiere und der Salzschwaden, die früher im Wesentlichen nur an der Nord- und Ostsee heimisch waren. Ihre heutige Verbreitung wird durch das verstärkte Salzen der Straßen im Winter gefördert.
Der Leiter der Fachgruppe Ornithologie Großdittmannsdorf, Matthias Schrack, berichtete aus der aktiven Naturschutzarbeit in der Moritzburger Kleinkuppenlandschaft. Die Fachgruppe hat zwischen Marsdorf und Medingen in Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Betrieben und dem Ortschaftsrat historische Strukturen der Kulturlandschaft erhalten und einen Biotopverbund geschaffen. Dazu gehört ein alter Feldweg. Sein naturnaher Zustand regt zum Wandern und Erleben des Flächennaturdenkmals „Feldweg Marsdorf-Medingen“ an.
Dr. Wolfgang Viebahn von der Regionalgruppe Vogtland sprach über den aktuellen Stand zur Rettung der Egerschen Brücke in Mühlwand bei Reichenbach/Vogtland. Er hatte während unserer Jahrestagung 2014 in Pulsnitz Unterschriften zur Erhaltung dieses wertvollen Baudenkmales an der via imperii gesammelt. Erst kurz zuvor war bekannt geworden, dass die 1756/57 errichtete Brücke aus wenig nachvollziehbaren Gründen abgerissen werden sollte. Anlass waren Schäden gewesen, die während des letzten Hochwassers entstanden waren. Noch 2014 gründete sich eine Bürgerinitiative, um für den Erhalt des Bauwerkes zu kämpfen. Dank deren Einsatzes konnte erreicht werden, dass neben der Egerschen Brücke eine neue Brücke gebaut wurde, die den Anforderungen des Straßenverkehrs besser entspricht. Jedoch stockt seit mehreren Monaten die geplante Restaurierung der alten Brücke, um diese für den Fuß- und Radfahrerverkehr zur Verfügung zu stellen.
Über den historischen Aspekt des Geleitschutzes sprach Norbert Demarzyck vom Heimat- und Kulturpflege e.V. Grumbach. Die Teilnehmer, die aus Richtung Dresden kommend der B 173 nach Freiberg gefolgt waren, waren auch durch diesen Ortsteil der Stadt Wilsdruff gefahren. Dabei hatten sie sicher den symbolischen Aufbau einer Zollschranke auf dem Dorfplatz direkt an der Bundesstraße gesehen. Grumbach war Geleits- und Zolleinnahmestelle und an diese Historie erinnert der Verein. Er hat mit Unterstützung der örtlichen Handwerker den Platz neu gestaltet, indem eine Schranke nachgebaut und eine Schauanlage mit Zollpreisen aufgestellt wurde. Auch das frühere Straßenwärterhaus hat als Verkaufsstelle eines Bäckers eine neue Nutzung gefunden.
Die neun Beiträge des Heimattages haben ganz verschiedene Aspekte zum Thema „Straßen und Wege“ aufgezeigt, aus tiefster Vorzeit bis zur Gegenwart. Und so hatte Professor Wolfgang Wünschmann die schwierige Aufgabe, ein Resümee für den Tag zu bilden. Welche Anregungen erwachsen aus diesem Tag für Heimatforscher und Ortschronisten? Dies sind zum einen die vielfältigen Quellen und Bezugspunkte, wenn es um Straßen und Wege geht. Sie erfordern einen stärkeren interdisziplinären Zugang, unabhängig davon, ob durch professionell Forschende oder Laien. Sie machten deutlich, dass es nicht nur um eine historische Erforschung gehen kann, sondern ebenso um den Erhalt und die Frage nach der weiteren (Neu-)Nutzung. Drittens gab der Tag zahlreiche Anregungen für die Praxis vor Ort. Und so sind wir schon auf den 10. Heimattag gespannt, der am 12. Oktober 2019 wieder in Freiberg stattfinden wird.
Cornelia Müller
Text aus den Mitteilungen 2/3 2018
Am 7. Oktober 2017 in Freiberg Der diesjährige Heimattag im Brauhof Freiberg widmete sich einem wichtigen Zeitausschnitt der deutschen und sächsischen Geschichte, nämlich dem «Aufbruch und der Stagnation im Vormärz», wie der weiterführende Titel des Veranstaltungsthemas lautete. Konzentriert auf wenige Jahre des 19. Jahrhunderts, auf die 1840er Jahre, sollte die Tagung Informationen und Anregungen geben, sich mit dieser Epoche zu beschäftigen und die Bedeutung dieser Jahre auch für die heutige Zeit zu erkennen.
In diesem Sinne führte Dr. Hans- Joachim Jäger die Teilnehmer in die Tagung ein. Er stellte den Vormärz in den geschichtlichen Zusammenhang der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ausgehend von den Befreiungskriegen und der Restauration. Dr. Jäger verlas das Grußwort des Schirmherrn des Heimattags, dem Präsidenten des Sächsischen Landtags, Dr. Matthias Rößler, der zunächst dafür dankte, dass seine Rede «Heimat in Sachsen» bei der diesjährigen Jahreshauptversammlung in Cunewalde auf große Resonanz gestoßen war und in den Mitteilungen des Landesvereins im Heft 2/2017 gedruckt erschien. Dr. Rößler wies sowohl auf die Notwendigkeit, die Quellen und Zeugnisse auch des Vormärz neu zu befragen, als auch auf die Veränderung der Arbeits und Lebensbedingungen in jener Zeit hin, was auch heute wieder aktuell ist. Das Recht jedes Menschen auf ein menschenwürdiges Leben, auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum und Lebensunterhalt, auf soziale Sicherung und auf Bildung sind heute die Ziele der demokratischen Gesellschaft.
Dr. Thomas Westphalen übernahm die Leitung der ersten Sektion, die mit dem Referat von Dr. Matthias Donath zu «Sachsens Dörfer um 1840» begann. Dr. Donath ging besonders vertieft auf die rechtlichen Grundlagen ein, die die folgenden Jahrzehnte mit ihren Auswirkungen prägen sollten. Zu nennen sind hier die Verabschiedung der Verfassung, die Ablösung der Dienstverpflichtungen, so zum Beispiel die Abschaffung des Gesindezwangsdienstes sowie des Flurzwanges und der Patrimonialgerichtsbarkeit. Die Folgen dieser Reformen sind nicht zu unterschätzen; von ihnen ging eine größere Selbständigkeit und Verantwortung für viele Menschen aus. Dr. Donath benannte das Verhältnis der Landbevölkerung zu den Rittergutsbesitzern, denen mit diesen Reformen eine Vielzahl von Arbeitskräften nicht mehr zur Verfügung stand. Mechanisierung, aber vor allem Indienstnahme von Landarbeitern waren die Folge, was jedoch nicht selten die Einkünfte der Güter überstiegen. So erhielten um 1840/50 viele Rittergüter bürgerliche Besitzer. Die neuen Verkehrswege machten die Verwendung von anderen Baumaterialien möglich; die Ziegel hielten großflächig Einzug, die Dorfbilder veränderten sich. Auch die Veränderung der Viehbestände und der Nahrungskultur der Menschen wurde von Dr. Donath angesprochen.
Den Aspekt der Bildung übernahm der nächste Referent, Dr. Jens Schulze- Forster. Anhand des Wirkens von Karl Benjamin Preusker charakterisierte der Referent dessen Bemühungen um Volksbildung, die sich in der Schaffung der ersten Volksbücherei zeigten, aber auch in der Sonntagsschule, die ein besonders großer Erfolg wurde. In der Diskussion wurde erörtert, inwieweit die Erfolge wirklich zu messen seien. Auch die Auswanderung nach Amerika aus Sachsen wurde thematisiert.
Roland Pfirschke stellte anschließend die reichhaltigen Quellen im Sächsischen Staatsarchiv zu den Ablösungen und Gemeinheitsteilungen vor. Bemerkenswert war unter anderem, dass im 14. und 15. Jahrhundert viele Herren auf Frondienste verzichteten, die dann später erst wieder in Anspruch genommen wurden. Dabei müsse der Forscher die unterschiedlichen Bedingungen bei den Ablösungen zwischen den Erblanden und der Oberlausitz berücksichtigen. In der Oberlausitz blieb auch der nächste Vortrag inhaltlich angesiedelt, in dem Sven Brajer über den Alltag und die Lebenswelt der vorindustriellen (Heim-)Weber sprach. Den Rahmen bildete der Strukturwandel in der Zeit des Vormärz, der in Teilen der Oberlausitz zur Entstehung mehrere tausend Einwohner umfassender Dörfer führte, die später Industriedörfer genannt wurden. Die Verarmung und das Elend der Weber sind fast sprichwörtlich geworden. In der Diskussion wurde auf diesen Punkt eingegangen, ob dies nicht auch eine andere Seite habe. Wenn so viele in der Weberei arbeiteten, müssten diese auch anziehende Arbeitsstätten gewesen sein. Rudolf Schröder wies in der Aussprache auf den Wandel der Kulturlandschaft hin; die Leinenproduktion verlangte große Flächen, die vorher anders genutzt wurden.
Der nächste Vortrag – die Tagungsleitung hatte Dr. Jäger übernommen – blieb bei der Landwirtschaft im weiteren Sinn, bei den Bauerngärten, über die Professor Dr. Hans-Jürgen Hardtke referierte. Bauerngärten, so wie wir sie heute verstehen, sind eine erst relativ junge Gattung des Gartens. Bisher liegt erst wenig Literatur zu diesem Thema, auf Sachsen bezogen, vor. Die beiden ältesten Bestandteile, Obst- und Kräutergarten, sind schon auf Karl den Großen zurückzuführen; der Blumengarten trat erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts hinzu. Hardtke stellte die wichtigsten Gewächse der Bauerngärten und ihre vielseitige Verwendung vor.
Im nächsten Vortrag wurde von René Misterek die Leistung sächsischer Buchbinder für die Bildung vorgestellt. Vor allem in den bekannten Volkskalendern mit Ratschlägen, belehrenden und erbaulichen Geschichten zeigt sich, was der Landmann und einfache Bürger las. Als die Redaktion der Kalender aufgrund staatlicher Forderungen an akademisch gebildete Bürger übergeben werden musste, war damit eine Professionalisierung der Kalenderarbeit verbunden. Dem Einfluss des Vogtländischen landwirtschaftlichen Vereins auf die Landwirtschaft widmete sich Ina Skerswetat. Sie verdeutlichte, wie sich die Nahrungsmittelgewohnheiten änderten, der Konsum, neue landwirtschaftliche Geräte und neue Nutzvieharten im Vogtland Einzug hielten und wie dies der Vogtländische landwirtschaftliche Verein wie auch andere ökonomische Vereine in Sachsen be- und antrieben. Die Vereine waren wichtige Katalysatoren, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Erhöhung und Verbesse-rung der landwirtschaftlichen Produkte an den Landmann brachten. Auch die Weltausstellung von 1851 führte zu einem deutlichen Auftrieb der Mechanisierung in der Landwirtschaft.
Der letzte Vortrag, den die Niederschönaer Ortschronistin Christine Zimmermann hielt, war der praktische Anschluss an den ersten Vortrag von Matthias Donath. Zimmermann zeigte anhand der Geschichte ihrer Gemeinde, wie sich die politischen Reformen der 1830er Jahre im Dorf Niederschöna auswirkten. Auch in diesem Referat spielte die Veränderung der Nahrungsmittelgewohnheiten eine Rolle: 1844 öffnete die erste Bäckerei in Niederschöna und markierte für die Gemeinde den Beginn dessen, was für uns heute alltäglich ist: nicht mehr das Brotbacken zuhause, sondern das Einkaufen der Backwaren in der Bäckerei – oder inzwischen im Supermarkt.
Daran schloss die Zusammenfassung der Tagung durch Dr. Konstantin Hermann an, der zunächst auf die Nahrungsmittelrevolution des 19. Jahrhunderts einging und charakterisierte, wie viele der heute selbstverständlichen Gewohnheiten, ebenso die industrielle Lebensmittelproduktion, ihren Ausgang im 19. Jahrhundert nahm. Die Kartoffel setzte sich durch, Säfte wurden in großer Menge getrunken, der Konsum vor allem von Schweinefleisch stieg stetig an. Wichtig, so Hermann, sei das Lösen und Hinterfragen von tradierten Vorstellungen und Urteilen, wie es sich auch in der Diskussion um die Stellung der Weber ausdrückte. Auch müsse man die Auswirkungen der politischen Reformen, die zu mehr Eigenverantwortung und Freiheit führten, unter dem Aspekt des Selbstverständnisses der Menschen damals sehen. Die Möglichkeit, politisch Einfluss zu nehmen, die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und anderes mehr haben zumindest bei einigen zu einem größeren Selbstverständnis geführt. Dies sei auch der entscheidende Punkt, bei dem die Heimatforschung die Wissenschaft unterstützen könne. Die Einschätzung der Auswirkungen auf die Menschen kann vor allem durch Ego-Dokumente geklärt werden, die aufgefunden und ausgewertet werden müssten. Auch hierin zeige sich wieder das wichtige Miteinander von Wissenschaft und Ortschronistik. Die Frage, wie die Menschen mit diesen Veränderungen in der damaligen Zeit umgegangen sind, wie sie lernten und wie sie empfanden, sei die wichtigste, die an alle Aussagen des heutigen Tages zu richten sei.
Dr. Jäger schloss den Heimattag einige Minuten nach 17 Uhr, dankte den Referenten und Zuhörern und lud zum nächsten Heimattag am 6. Oktober 2018 ein. Die interessanten Vorträge und wichtigen Fachdiskussionen hatten deutlich den Zeitplan überschreiten lassen. Auch dem Brauhof Freiberg sei für die Gastfreundschaft gedankt, ebenso den Vorbereitenden des Heimattags und nicht zuletzt auch den Vereinsmitgliedern, die am Buchtisch Publikationen verkauften.
Konstantin Hermann (Text und Grafiken aus Mitteilungen 3/2017 des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz)
7. Sächsischer Heimattag (Freiberg 2016)
6. Sächsischer Heimattag (Freiberg 2015)
5. Sächsischer Heimattag (Freiberg 2014)
4. Sächsischer Heimattag (Freiberg 2013)
3. Sächsischer Heimattag (Freiberg 2012)
2. Sächsischer Heimattag (Freiberg 2011)
1. Sächsische Heimattag (Freiberg 2010)